Offener Brief an die Stadt Hohenstein-Ernstthal

Wir wollen gerne den gemeinsamen Brief des Bündnis Chemnitz Nazifrei hier teilen, um unsere Empörung über die unsolidarischen und zynischen Abweisungen in Hohenstein-Ernstthal zu teilen.

Sehr geehrter Herr Lars Kluge,
Sehr geehrte Stadt Hohenstein-Ernstthal,

In der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1999 wurde der damals 17-jährige Patrick Thürmer auf dem Heimweg von einem Punk-Konzert, das zuvor im Jugendclub „Off is“ in Hohenstein-Ernstthal stattgefunden hat, aus einem Kleinbus heraus überfallen und mit Tritten, einem Axtstil und einem Billiardqueue attackiert. Patrick Thürmer ist seinen Verletzungen am nächsten Tag im Krankenhaus erlegen.

Anlässlich des 20. Todestages wollen wir mit einer Gedenkdemonstration, sowie einer Ausstellung zusammen mit der Opferberatung RAA Sachsen und einer Lesung mit der Autorin und Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt Heike Kleffner, Patrick Thürmer und allen anderen Opfern rechter Gewalt gedenken. Für die Ausstellung und die Lesung wurde händeringend in der Stadt Hohenstein-Ernstthal eine Räumlichkeit gesucht. Dafür wurden über 15 Orte städtischer, öffentlicher und privater Träger angefragt. Diesbezüglich sind Mitwirkende unseres Bündnisses mehrfach nach Hohenstein-Ernstthal gefahren um persönlich mit Menschen zu reden, viele Mails wurden geschrieben und viele Telefonate geführt. Dennoch sagten alle möglichen Veranstaltungsflächen ab – teilweise unter fadenscheinigen Ausreden, teilweise ganz offen auf Grund der angeblichen politischen Brisanz. Städtische und öffentliche Räumlichkeiten behaupteten keine politische Veranstaltungen durchführen zu wollen/ dürfen. Dennoch fanden in diesen Räumlichkeiten in der Vergangenheit beispielsweise Veranstaltungen der AfD statt (1).

Seit 1990 wurden mindestens 196 Menschen von Neonazis gewaltsam getötet, einer davon war Patrick Thürmer (2). Alleine in Sachsen werden 19 Todesopfer gezählt (Jorge João Gomondai – 06.04.91, Waltraud Scheffler – 23.10.92, Mike Zerna – 25.02.93, Klaus R. – 28.05.94, Michael Gäbler – 20.11.94, Peter T. – 12.06.95, Bernd Grigol – 08.05.96, Achmed Bachir – 23.10.96, Nuno Lourenco – 29.12.98, Bernd Schmidt – 31.01.00, Günter T. – 20.04.03, Thomas K. – 04.10.03, Karl-Heinz Teichmann – 06.09.08, Marwa El-Sherbini – 01.07.09, Kamal Kilade – 24.10.10, André Kleinau – 27.05.11, Ruth K. – 01.03.17, Christopher W. – 17.04.18 und Patrick Thürmer – 02.10.99). Vier Jahre vor Patrick fiel auch Peter T. rechten Skinheads in Hohenstein-Ernstthal zum Opfer. Innerhalb weniger Jahre wurden in Hohenstein-Ernstthal also zwei Menschen aus einem politisch rechten Motiv heraus getötet. Mehr Todesopfer in Sachsen gab es nur in der Großstadt Leipzig.

Auch jetzt leben wir in einer Zeit, in der Gewalttaten von extrem Rechten wieder Alltag zu sein scheinen. Extrem rechte Straftaten nahmen im Jahr 2019 in Sachsen überdurchschnittlich zu. Neonazis und andere Rechte haben im ersten Halbjahr 2019 bereits mehr als 8600 Straftaten begangen, darunter 363 Gewalttaten, bei denen 179 Menschen verletzt wurden (3). Das nächste Todesopfer rechter Gewalttäter ist also nur eine Frage der Zeit. Erst diese Woche hat ein bekannter Neonazi in Chemnitz einen Geflüchteten aus seinem Rollstuhl geschlagen und auf den wehrlosen Mann eingeprügelt (4).

In diesen Zeiten ist es umso wichtiger sich als Zivilgesellschaft geschlossen diesen Menschen in den Weg zu stellen und den Opfern gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Gewalt bedingungslos zur Seite zu stehen. Umso erschreckender finden wir es, dass sich keine Räumlichkeit finden lies, welche bereit war, uns bei der Gedenkveranstaltung zu unterstützen. Sich nicht „auf die eine oder andere Seite schlagen zu wollen“, wie einige Vermieter von Flächen behaupteten, ist für uns nur schwer zu fassen. Wenn wir, die Patrick gedenken wollen die eine Seite darstellen, wer stellt dann die andere Seite dar? Menschen, die sich mit den Tätern solidarisieren? Mit organisierten Neonazis, welche einen so jungen Menschen das Leben nahmen weil er ein Punk war?

Für uns ist es skandalös, dass wir nach wochenlanger Suche nur Absagen erhalten haben. Die Veranstaltung mit Ausstellung, Vortrag, Lesung und Diskussion wird nun im Weltecho in Chemnitz stattfinden.

Bündnis Chemnitz Nazifrei

Veranstaltungsübersicht

Gedenkdemonstration:

Donnerstag, 03.10.
11:00 Uhr
Bahnhof Hohenstein-Ernstthal

alle Infos zur Demo findet ihr hier.

 

Gedenk- und Aufklärungsveranstaltungen:

Donnerstag, 03.10.
15:30 – Ausstellung RAA Opferberatung
16:15 – Vortrag zum 20. Todesstag
18:00 – Lesung: „Unter Sachsen: zwischen Wut und Willkommen“ von Heike Kleffner
Weltecho Chemnitz / Annabergerstraße 24

 

Info- und Mobiveranstaltungen:

Donnerstag, 19.09.
20.30 Uhr
Lesecafe “ O D R A D E K „ / Chemnitz

Freitag, 20.09.
21.00 Uhr
Siebenhitze Greiz (Siebenhitze 51 / 07973 Greiz)

Samstag, 21.09.
20.00 Uhr
Unanbeatbar Schwarzenberg (Am Wasserwerk 1 / 08340 Schwarzenberg)

Dienstag, 24.09.
20.00 Uhr
Plaque Leipzig (Industriestraße 101 / Leipzig- Plagwitz)

Mittwoch, 25.09.
18.00 Uhr
Café Taktlos Glauchau (Heinrich-Heine-Straße 2 / 08371 Glauchau)

Mittwoch, 25.09.
20.30 Uhr
Projekt Schuldenberg (Thiergartner Straße 4 / 08527 Plauen)

Donnerstag 26.09.
19.00 Uhr
Alter Gasometer / Zwickau

Dienstag, 01.10.
20.00 Uhr
AZ☆Conni / Dresden (Rudolf-Leonhard-Straße 39)

Mittwoch, 02.10.
20.00 Uhr
Crasspub Chemnitz (Bornaer Straße 176 / 09114 Chemnitz)

Antifaschistischer Jugendkongress 2019

Auch 2019 findet wieder in Chemnitz der antifaschistische Jugendkongress (Juko) im Alternativen Jugendzentrum Chemnitz statt!

Das Programm ist bereits online, und umfasst von Workshops bis Vorträgen eine bunte mischung an Verschiedenen Themen zu Umwelt, Feminismus, Internationalismus, Antifaschismus, Selbstverteidigung, Aktionstraining etc.

Ihr könnt euch auf der Juko-Website bereits anmelden, was wichtig ist für die Planung – braucht ihr einen Schlafplatz? Wieviele Leute werden es? Und vor allem: Dieses Jahr gibt es die Möglichkeit, sich für eine Bildungsfahrt nach Buchenwald einzutragen!
Also Programm auschecken und anmelden!

Sagt all euren Freundinnen und Freunden, Geschwistern, Genossinnen und Genossen und Interessierten bescheid, verteilt Mobimaterial und kommt zum Juko!

Und weil schonwieder verschiedene Chemnitzer Parteien, die Bullen und der Verfassungsschutz versuchen, antifaschistische Bildungsarbeit zu diskreditieren, teilt und unterschreibt die Solierklärung. Wir lassen uns unseren Raum als antifaschistische Jugendliche nicht nehmen.

Alle wichtigen Infos wie Kontaktdaten, Programm, Timetable, Anmeldung etc. findet ihr auf der Juko-Homepage.

 

Solierklärung für den Juko 2019

Solidarität mit dem Jugendkongress im AJZ Chemnitz!
Für eine antifaschistische und antirassistische politische Bildung!

Der Jugendkongress (Juko) findet im Jahr 2019 bereits zum 4. Mal statt. Seit 2016 können sich beim Juko interessierte Jugendliche aus Sachsen und anderen (Bundes)Ländern informieren und weiterbilden. In den vergangenen Jahren haben jeweils um die 300 Jugendliche aus ganz Deutschland den Kongress besucht. Das breite Workshop-Angebot reichte von Diskussionen zu Flucht, Migration und Asylrecht über Vorträge zu der (extremen) Rechten und Klimagerechtigkeit bis hin zu feministischen Seminaren. Mit vielfältigen Methoden trägt der Juko, vor allem im Bereich der Jugendbildung zur Stärkung der demokratischen Zivilgesellschaft bei.
Bisher versuchten verschiedene Fraktionen im Stadtparlament Chemnitz gezielt linke Jugendarbeit zu diskreditieren. Wir möchten erneut und nachdrücklich auf die Relevanz von emanzipatorischer Bildung hinweisen. Es geht darum, dass mit antifaschistischer, antirassistischer und feministischer Bildungsarbeit ein Gegenentwurf zur Normalisierung von Strukturen und Ideologien der Ungleichwertigkeit gesetzt und gestärkt wird.
Solch Engagement ist in Sachsen bitter nötig, vor allem auch in einer Stadt wie Chemnitz. Rassistische Ausschreitungen, antisemitische Angriffe, das öffentliche Gedenken an einen Nazi-Hooligan beim Chemnitzer FC oder zunehmende Angriffe auf migrantische Restaurants sind nur die jüngsten einer Vielzahl rechter Vorfälle. Dieses rassistische und menschenfeindliche Klima wird durch eine Politik mit verursacht, die organisierte Nazistrukturen ignoriert.
Gleichzeitig werden seit 30 Jahren antifaschistische und zivilgesellschaftliche Gruppen kriminalisiert. Auch der Juko wird vom Verfassungsschutz, der Polizei und verschiedenen Parteien angefeindet.
Wir möchten zu kritischer Auseinandersetzung anregen mit Blick auf die Fragen: Wie wollen wir jetzt und zukünftig miteinander diskutieren und leben? Wie können wir unsere Zukunft nachhaltig gestalten, Verantwortung dafür übernehmen und uns mündig und selbstreflexiv engagieren?
Dafür schafft der Jugendkongress eine Plattform zum Austausch zwischen verschiedenen jungen Menschen. Er bietet Möglichkeiten zur Information, zum politischen Engagement und zur Vernetzung von und mit Jugendlichen.
Das AJZ Chemnitz ist ein wichtiger Träger der Jugendhilfe. Das Haus stellt einen Freiraum im autoritären, nach rechts rückendem Mainstream Sachsens dar.
Mit unserer Unterschrift unterstützen wir den Jugendkongress im AJZ Chemnitz.

Selbst unterzeichnen?

Wir suchen noch Unterzeichner*innen für die Solierklärung um mit zahlreichen Unterzeichnungen die gesellschaftlichen Notwendigkeit und Legitimation linker Bildungsarbeit zu unterstreichen.  Wenn du / deine Gruppe / dein Verin Unterzeichner*in werden möchte sende uns bitte einfach ein kurze Nachricht. Zum Beispiel via:

Twitter: @AJugendkongress
Facebook: Antifaschistischer Jugendkongress Chemnitz
Instagram: @juko_2019
Mail: kontakt@antifaschistischer-jugendkongress.org

Solierklärung auf der Juko Homepage