Demo-Einmaleins
In diesem Artikel gehen wir zunächst auf einige wichtige Grund-
regeln ein, die besonders bei Demonstrationen, aber auch ande-
ren Aktionsformen gelten. Mach dir vor jeder Demo oder ande-
ren Aktion bewusst, dass immer etwas Unvorhergesehenes pas-
sieren und jede noch so kleine linke politische Aktion zum Ob-
jekt polizeilicher Maßnahmen werden kann. Aber lass dich da-
von nicht einschüchtern!
➊ Auf dem Weg zur Demo
Geh nach Möglichkeit nie allein auf eine Demo oder zu einer an-
deren Aktion. Es ist nicht nur lustiger, mit Menschen unterwegs
zu sein, die du kennst und denen du vertraust, sondern auch si-
cherer. Empfehlenswert ist, Bezugsgruppen zu bilden, gemein-
sam hinzugehen, während der Aktion zusammen zu bleiben und
gemeinsam den Ort des Geschehens wieder zu verlassen. Wich-
tig ist, in der Bezugsgruppe vorher das Verhalten in bestimmten
Situationen abzusprechen. Dabei sollte Raum für Ängste und
Unsicherheiten Einzelner sein.
Achte auf angemessene Kleidung und bequeme Schuhe, in de-
nen du ggf. schnell laufen kannst. Steck einen Stift und ein
Stück Papier ein, um wichtige Details zu notieren (mehr dazu
im Kapitel EA). Nimm ein wenig Kleingeld mit. Die Polizei ist
zwar nach einer Festnahme verpflichtet, dir auch dann zwei er-
folgreiche Telefonate zu gewähren, wenn du kein Geld dabei
hast. Aber sicher ist sicher. Nimm Medikamente, die du regel-
mäßig einnehmen musst, in ausreichender Menge mit. Besser
Brille als Kontaktlinsen. Besser keine Schminke oder Fett-
creme, da die die Wirkung von Pfefferspray verstärken. Lass
persönliche Aufzeichnungen, besonders Adressbücher, zu Hau-
se. Überlege gut, was du unbedingt brauchst. Alles andere kann
im Fall einer Festnahme der Polizei nützen. Drogen jeglicher
Art, auch Alkohol, sollten weder vorher konsumiert noch auf die
Demo mitgenommen werden. Schließlich musst du einen klaren
Kopf bewahren und jederzeit in der Lage sein, Entscheidungen
zu treffen. Eine Kamera brauchst du auch nicht. Für Erinne-
rungsfotos ist hier nicht der richtige Ort, und das Dokumentie-
ren der Demo und des Polizeiverhaltens sollte geübten und ge-
kennzeichneten Journalist*innen oder Demo-Beobachter*innen
überlassen werden. Im Fall einer Festnahme helfen Fotos nur
der Gegenseite!
Allgemein empfehlen wir dir, dein Telefon bei Aktionen zu Hau-
se zu lassen. Mach dir die hohen Risiken bewusst! Funkzellen-
abfragen geben genaueste Auskunft darüber, mit wem du telefo-
nierst oder SMS schreibst, und über deinen Aufenthaltsradius.
Besonders Smartphones senden über ihre Apps permanent di-
verse Datensätze. Diese Daten gaben Anlass zu und waren Ge-
genstand von Ermittlungen der Polizei. Auch ist es mehr als är-
gerlich, wenn im Fall einer Festnahme deine privaten Daten wie
zum Beispiel Telefonbücher, Gespräche via SMS oder Fotos in
die Hände der Ermittlungsbehörden fallen. Im schlimmsten Fall
können die gesammelten Daten Strukturen und Genoss*innen
ernsthaft schaden. Falls du meinst, auf Demos und Aktionen ein
Handy zu benötigen, dann besorg dir ein „sauberes“ Telefon.
Das bedeutet u. a., dass es nicht auf deinen Namen zurückzu-
führen ist. Darin sollte die Nummer des Ermittlungsausschus-
ses (EA) und deiner*s Anwält*in enthalten sein. Beachte hierzu,
dass ab dem 01.07.2017 in Deutschland SIM-Karten nur noch
gegen Vorlage eines Personalausweises erhältlich sind. Im Aus-
land gelten hierzu andere Regelungen.
➋ Der Ermittlungsausschuss (EA)
Oft gibt es einen EA, dessen Telefonnummer durchgesagt oder
per Handzettel verbreitet wird. Der EA kümmert sich während
der Demo vor allem um die Festgenommenen und besorgt für
sie Anwält*innen.
Wenn du festgenommen wurdest oder eine Festnahme beobach-
test, solltest du dich umgehend beim EA melden. Wichtig bei
der Meldung sind Name und Wohnort der festgenommenen Per-
son. Mach aber keine Angaben zu Aktionen oder zu dir selbst.
Sei dir bewusst, dass die EA-Leitung oft Ziel staatlicher Abhö-
rung ist. Sobald du wieder freigelassen wurdest, melde dich un-
bedingt beim EA ab und fertige ein Gedächtnisprotokoll an.
➌ Gedächtnisprotokoll
Für die spätere politische Prozessführung ist ein Gedächtnispro-
tokoll sehr nützlich. Auch Zeug*innen von Übergriffen sollten
ein solches anfertigen. Beinhalten sollte es auf jeden Fall: Ort,
Zeit und Art (Festnahme, Prügelorgie, Wegtragen) des Über-
griffs, Namen der Betroffenen, Zeug*innen sowie Anzahl, Dien-
steinheit und Aussehen der Schläger*innen. Jedes Detail kann
dir später helfen. Sei dir aber bewusst, dass ein Gedächtnispro-
tokoll ein hoch sensibles Dokument ist, das du sicher verwahren
musst und das nur für dich, deine*n Anwält*in oder die Antire-
pressionsstruktur deines Vertrauens gedacht ist. Sicher aufbe-
wahrt bedeutet in Papierform in einem abschließbaren Schrank
oder besser auf einem verschlüsselten digitalen Medium.
➍ Bei Personalienkontrollen
Auf dem Weg zu Demos kommt es oft zu Kontrollen durch die
Polizei. Es werden „stichprobenhaft“ Taschen und Personen
durchsucht. Der Polizei ist es verboten, dich wegen deiner „Sze-
nezugehörigkeit“ gezielt zu durchsuchen oder die Personalien
aller Personen aufzunehmen. Du musst nur bestimmte Angaben
zu deiner Person machen. Das sind ausschließlich:
• Name, Vorname, ggf. Geburtsname
• (Melde-)Adresse
• allgemeine Berufsbezeichnung (z.B. „Student“, „Angestellte“)
• Geburtsdatum und Ort
• Familienstand (z.B. „ledig“)
• Staatsangehörigkeit
Wenn du diese Angaben konsequent verweigerst, kommt es in
der Regel zu einer erkennungsdienstlichen Behandlung (ED-Be-
handlung). Dabei wirst du aus verschiedenen Winkeln abgelich-
tet, es werden Finger-/Handkantenabdrücke genommen und kör-
perliche Merkmale wie Augenfarbe, Haarfarbe, Tattoos, Narben
usw. erfasst sowie deine Größe und dein Gewicht gemessen. Au-
ßerdem kann es sein, dass du bis zu 12 Stunden festgehalten
wirst und dir ein Bußgeld auferlegt wird.
Wichtig: Bei einer ED-Behandlung ist es ratsam, einen Wider-
spruch einzulegen und diesen protokollieren zu lassen. Unter-
schreib selbst aber gar nichts!
➎ Bei Übergriffen
Jetzt nicht in Panik geraten, tief Luft holen, stehen bleiben und
auch andere dazu auffordern. Spätestens jetzt heißt es, schnell
Ketten zu bilden und, wenn es gar nicht anders geht, sich lang-
sam und geschlossen zurückzuziehen. Oft können Übergriffe
der „Freunde und Helfer“ allein durch das geordnete Kettenbil-
den und Stehenbleiben abgewehrt und das Spalten der Demo,
Festnahmen und das Liegenbleiben von Verletzten verhindert
werden.
➏ Bei Verletzungen
Kümmer dich um Verletzte und hilf, ihren Abtransport gegen
Greiftrupps abzusichern. Wende dich an die Demo-Sanitäter*in
nen oder organisiere mit Genoss*innen selbst den Abtransport
und die Versorgung der Verletzten. Wenn du ein Krankenhaus
aufsuchen musst, dann möglichst eins, das nicht mit der Veran-
staltung oder Aktion in Verbindung gebracht wird. Wichtig ist
es, dort keine Angaben zum Geschehen zu machen. Oft arbeiten
Krankenhäuser mit der Polizei zusammen und geben Daten wei-
ter. Deine Personalien musst du wegen der Krankenversicherung
korrekt angeben, aber sonst nichts!
➐ Bei Festnahmen
Mach auf dich aufmerksam, ruf deinen Vor- und Nachnamen
und den Ort, aus dem du kommst, damit deine Festnahme dem
EA gemeldet werden kann.
Wenn du merkst, dass kein Entkommen mehr möglich ist, ver-
such die Ruhe wieder zu gewinnen. Ab diesem Moment sagst du
keinen Ton mehr! Die einzige, wirklich einzige Ausnahme stellt
die Einforderung fundamentaler Rechte dar! Meld dich nach der
Freilassung sofort beim EA. Sobald du wieder zu Hause bist,
fertige ein Gedächtnisprotokoll an. Nimm in der Folgezeit Kon-
takt zum EA, zur Roten Hilfe oder zu einer anderen Antirepres-
sionsgruppe auf, um dich über das weitere Vorgehen auszutau-
schen.
➑ Beim Abtransport
Auf der Fahrt zu Gefangenensammelstelle oder Revier sprich
ggf. mit den anderen Festgenommenen über eure Rechte, aber
mit keinem Wort über das, was du gemacht hast. Es wäre nicht
das erste Mal, dass ein*e Spitzel*in oder Tatbeobachter*in unter
euch ist, auch wenn du ein gutes Gefühl zu allen hast. Achte auf
andere und zeig dich verantwortlich, wenn sie mit der Situation
noch schlechter zurecht kommen als du. Das beruhigt auch
dich. Redet darüber, dass es sinnvoll ist, ab sofort konsequent
das Maul zu halten.
➒ Auf der Wache
Dort gilt: Keine Aussagen, unterschreib nichts, aber widersprich
allen Maßnahmen!
Nach der Festnahme hast du das Recht, zwei erfolgreiche Tele-
fonate zu führen. Am besten rufst du den EA bzw. eine*n
Anwält*in an. Wenn dir der Anruf verweigert wird, nerv die
Polizist*innen so lange, bis sie dich telefonieren lassen, notfalls
drohe mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde. Minderjährige ha-
ben nicht nur das Recht, mit einer*m Anwält*in zu sprechen,
sondern auch mit Angehörigen. Dabei läuft das Telefonat zu-
nächst oft über die Polizist*innen, die wissen wollen, ob du
wirklich einen Rechtsbeistand bzw. Angehörige anrufst, und
erst dann den Hörer an dich weitergeben. Gerade bei Minderjäh-
rigen dient das als zusätzliche Schikane, um die Eltern zu scho-
ckieren. Bei Verletzungen solltest du eine*n Ärzt*in verlangen
und auf ein Attest bestehen. Nach der Freilassung such eine*n
weitere*n Ärzt*in auf und lass ein weiteres Attest anfertigen.
Bei Dingen, die die Polizei beschädigt hat, verlange eine schrift-
liche Bestätigung.
Dein Widerspruch ist vor allem bei einer DNA-Entnahme unver-
zichtbar. Die wird von der Polizei bei kleinsten Bagatellen vorge-
schlagen. Es kann dazu kommen, dass die Polizei deine Woh-
nung durchsucht, während du in der Zelle sitzt. Weitere Infos zu
diesen Themen findest du in den entsprechenden Abschnitten
(S. 18 + 21) dieser Broschüre und in den Flyern der Roten Hilfe.
Freilassen müssen sie dich …
• bei Festnahmen zur Identitätsfeststellung:
… nachdem du deine Personalien angegeben und wenn du ei-
nen Ausweis dabei hast eigentlich sofort. Um zu prüfen ob dei-
ne Angaben stimmen, kannst du aber bis zu 12 Stunden festge-
halten werden.
• bei Festnahmen als Tatverdächtige*r:
… spätestens um 24:00 Uhr des auf die Festnahme folgenden
Tages, also nach maximal 48 Stunden. Es sei denn, du wirst
einer*m Haftrichter*in vorgeführt und diese*r verhängt Untersu-
chungshaft oder ordnet ein „Schnellverfahren“ (S. 20) an.
➓ Im Verhör
Lass dich weder von verständnisvollen Onkel-Typen einwickeln
noch von Brutalos einschüchtern. Glaub nicht, die Beamt*innen
austricksen zu können, denn sie sind gut ausgebildete
Verhörspezialist*innen. Keine Aussage wird deine Situation ver-
bessern! Auch keine scheinbar harmlose Plauderei, die ver-
meintlich außerhalb des Verhörs stattfindet, z.B. beim Warten
auf dem Flur. Keine „politische Diskussion“ mit Polizist*innen,
denn jede Äußerung nach deiner Festnahme ist eine Aussage!
Selbst wenn dir die Polizist*innen erzählen, dass es besser für
dich wäre, jetzt Aussagen zu machen: Das ist gelogen! Alles ist
auch nach Absprache mit Genoss*innen und Anwält*innen noch
möglich. Einzig auf die Forderung nach deinen fundamentalen
Rechten wie Telefonaten mit deiner*m Anwält*in, dem Gang zur
Toilette oder dem Widerspruch gegen eine DNA-Abnahme soll-
test du bestehen.
Manchmal werden dir Sachen vorgeworfen, mit denen du nichts
zu tun hast, oder auch Dinge, die du nie tun würdest. Halt trotz-
dem die Klappe! Was dich vermeintlich entlastet, kann andere
belasten, und du wärst ein*e potenzielle*r Zeug*in in einem Ver-
fahren gegen eine*n andere*n Genoss*in. Auch Infos darüber,
was du nicht getan hast, helfen der Polizei, ein Gesamtbild ge-
gen dich und andere zu konstruieren.
Nach den Fragen zu deiner Person kommen oft erst einmal ganz
„unverfängliche“ Fragen wie z.B.: „Wie lange wohnen Sie denn
schon in …“ oder: „Sind Sie mit dem Auto hergekommen?“.
Wenn sie merken, dass du auch nur ansatzweise auf ein Ge-
spräch eingehst und antwortest, werden sie ihre Chance wittern
und gnadenlos weiter bohren. Sie werden dir keine Ruhe lassen,
auch wenn du Fragen nicht mehr beantworten willst!
Völlig anders ist die Situation in dem Moment, in dem du un-
missverständlich klar machst, dass du die Aussage verweigerst!
Auf jede Frage antwortest du monoton wie eine kaputte Schall-
platte: „Ich verweigere die Aussage!“. „Regnet es draußen?“ –
„Ich verweigere die Aussage!“; „Wollen Sie eine Zigarette oder
einen Kaffee?“ – „Ich verweigere die Aussage!“.
Keine Angst, niemand hält dich für blöd, auch wenn dein Ge-
genüber so tun wird. Sie*er wird im Gegenteil sehr schnell ka-
pieren, dass du es ernst meinst, nicht zu übertölpeln bist und
genau weißt, was du zu tun hast, und wird aufgeben.
Mit einer konsequenten Aussageverweigerung verdeutlichst du
den Polizist*innen, dass sie bei dir keine Infos bekommen. Das
ist nicht nur ein Gebot der Solidarität gegenüber Genoss*innen,
sondern auch in Hinblick auf dein Verfahren sinnvoll. Außerdem
kommst du so am schnellsten aus dem Verhör heraus.